FAZ
Wiederbelebungsversuche wirken auf Anhieb
Das 9:8 über Griechenland wirkt als Antidepressivum für den deutschen Wasserball


FUKUOKA. Die deutschen Wasserballspieler wohnen in Fukuoka in einem Hotel. Das ist in diesem Fall keine Selbstverständlichkeit. Als sich die Nationalmannschaft vor ein paar Wochen für die Weltmeisterschaft in Fukuoka qualifiziert hatte, tauchte plötzlich die bange Frage auf: Wer soll das bezahlen? Bundestrainer Hagen Stamm trug seinerzeit zu der merkwürdigen Debatte den Vorschlag bei, daß er und seine Mannen zur Not auch mit dem Zelt nach Japan reisten. Wie man jetzt weiß, war die ganze Aufregung ein Sturm im Wasserglas. Irgendwie kratzten sie beim Deutschen Schwimm-Verband (DSV) die 180000 Mark für die Reisekosten zusammen, was den Aktiven das Schlafen auf der Luftmatratze und dem Verband so manche Schmähung ersparte.

Vielleicht zahlt sich die Investition eines Tages aus. Seit Donnerstag weiß man nämlich, daß deutsche Wasserballspieler auch etablierte Gegner schlagen können. Und das ist erst recht keine Selbstverständlichkeit. Als der 9:8-Erfolg über die Griechen beim Auftaktspiel der WM feststand, war Stamm so ergriffen über den couragierten Auftritt seiner jungen Mannschaft, daß er für einen Moment den Boden unter den Füßen verlor und am Beckenrand der Länge nach zu Boden ging. Zum Glück blieb sein Sturz ohne Folgen. Ein blaues Auge holten sich an diesem Tag nur die griechischen Vollprofis ab, die die deutschen Amateure offensichtlich unterschätzt hatten. "Die Mannschaft ist heute über sich hinausgewachsen", sagt Stamm, der frühere Weltklasse-Center, emotionsgeladen: "Das war ein Wahnsinns-Schritt nach vorne."

Der überraschende Sieg über die Griechen, gegen die die Deutschen bei der EM noch chancenlos gewesen waren, wirkt tatsächlich wie ein starkes Antidepressivum für den deutschen Wasserball. In den vergangenen Jahren hatte sich die Mißstimmung wie bleierne Schwere über die Nationalmannschaft gelegt. Die Deutschen, in den achtziger Jahren nicht zuletzt dank Stamm eines der weltbesten Teams, sanken nicht nur in der Rangliste immer tiefer, sondern auch im Ansehen. Als dann vor einem Jahr zum ersten Mal überhaupt die Olympia-Qualifikation verpaßt wurde, drohte dieser Sport vollends in der Versenkung zu verschwinden. Erst Hagen Stamm gelang es, den Patienten wieder zu beleben. Der Berliner Unternehmer, als Präsident des Serienmeisters Wasserfreunde Spandau 04 eine Art Franz Beckenbauer des Wasserballs, übernahm das Nationalteam im Herbst. Er setzte sich zum Ziel, den Niedergang zu beenden und den Aufbau eines jungen, schlagkräftigen Ensembles einzuleiten.

Nun scheinen Stamms Wiederbelebungsversuche unerwartet rasch Erfolg zu haben. Vor vier Wochen sicherte sich seine Mannschaft mit dem neunten Platz bei der Wasserball-Europameisterschaft in Budapest die Teilnahme an der WM. Beeindruckend war dabei aber weniger das Abschneiden, zumal ohnehin nur zwölf Nationen um den kontinentalen Titel spielten. Aufsehen erregte vielmehr, wie gut sich das unerfahrene deutsche Team selbst gegen Nationen aus dem Wasserball-Establishment aus der Affäre zog. Auch in der Partie gegen die Griechen, für die meisten deutschen Spieler war es der erste WM-Auftritt überhaupt, zeigte sich Stamms Team von seiner besten Seite. Während der Bundestrainer im "Hakati no Mori"-Stadion, einer umgebauten Tennisanlage, sichtlich unter der feuchten Hitze litt, blieben seine Spieler unerwartet kühl. Sie lagen fast immer mit einem Tor Vorsprung in Führung und behielten auch in den kritischen Momenten die Nerven, als das Spiel zu kippen drohte. Thilo Kaisers (Bayer Uerdingen) Treffer zum 9:8 nach einem Konter knapp zwei Minuten vor der Schlußsirene bedeutete schließlich die Entscheidung.

Mit Kopf und Herz habe sein Team gespielt, sagt Stamm hinterher. Den Kopf bildete der aus Rußland stammende Alexander Tschigir, der einzige Vollprofi in der deutschen Mannschaft, den nicht nur Stamm für einen der weltbesten Torhüter hält. Fürs Herz war an diesem Tag dagegen Steffen Dierolf vom SV Cannstatt zuständig. Der 25 Jahre alte Student, der sich in Wasserballkreisen den Ruf eines begabten Hallodris erwarb, zeigte in Fukuoka eine seiner besten Leistungen im Nationalteam und erzielte die ersten drei Treffer gegen Griechenland im Alleingang. Seine Figur erinnert zwar immer noch nicht an die eines Asketen, doch immerhin hat es Stamm geschafft, daß er "seine Energien wieder mehr dem Wasserball zuwendet".

Ob der Erfolg über die Griechen ein Muster ohne Wert ist, wird man freilich erst am Samstag wissen. Dann trifft Stamms Auswahl auf das Team aus Kasachstan, das im Leistungsniveau mit den Deutschen auf einer Höhe ist. Stamms Ziel bei der WM ist der elfte Platz, der eine bessere Ausstattung an öffentlichen Fördermitteln zur Folge hätte. Dazu muß Deutschland in der Vorrundengruppe mit Olympiasieger Ungarn, Kasachstan und Griechenland mindestens Dritter werden. "Wenn wir gegen die Kasachen verlieren, war alles vergebens", sagte Kapitän Patrick Weissinger (Spandau 04). Gewiß: Die Wasserballspieler sind noch lange nicht am Ziel. Aber die Tür zur nächsten Runde steht weit offen.

(Frankfurter Allgemeine Zeitung 20. Juli 2001)


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