Wasserball

Schwitzen im Hörsaal
Eine Universität bringt Deutschlands Wasserballer in Verlegenheit

Fukuoka/Hannover - In diesen Tagen herrscht üble Stimmung in einer Studentenbude in Hannover. Der Student der Wirtschaftswissenschaften Marc Politze sitzt am Schreibtisch und lernt, an manchen Tagen geht er zur Universität und schreibt Klausuren. Was Politze aber nicht tut, ist: in einem Schwimmbecken im japanischen Fukuoka Tore für die Wasserball-Nationalmannschaft zu werfen. Politzes Kollegen vom Nationalteam sind zur WM abgereist, doch den erfolgreichsten Torschützen der EM mussten sie zu Hause lassen. "Das kann so nicht weiter gehen", sagt Bundestrainer
Hagen Stamm - und meint damit nicht nur die "Affäre Politze", sondern auch einige andere ungelöste Probleme, mit denen der deutsche Wasserball in diesen Wochen kämpft.

Die erste WM-Teilnahme des DSV-Teams seit 1994 könnte Grund zur Freude sein. Stattdessen begannen gleich nach der überraschenden Qualifikation im Juni als EM-Neunter die Spekulationen darüber, ob der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) seine Wasserballer aus Kostengründen etwa auf einem japanischen Campingplatz logieren lassen müsse. 180000 außerplanmäßige Mark kostet die WM-Teilnahme, mit der beim DSV keiner rechnete. Deshalb müssen die Wasserballer 30000 Mark aus ihrem eigenen Etat beisteuern. "Ende Juli ist das Wasserballjahr für uns zu Ende", sagt Trainer Stamm. "Nach der WM haben wir kein Geld mehr, dann sind wir nackt.

Deshalb soll sich nach der WM auch einiges ändern. Die Wasserballer wollen aus den Sponsoren- und Fernsehverträgen des DSV ausscheiden. "Die Bereitschaft dafür ist grundsätzlich da", erklärt Wasserballwart Ewald Voigt- Rademacher. Und auch Sponsoren haben laut Stamm bereits ihr Interesse an Deutschlands Wasserballern als Werbeträgern angemeldet. Die Entscheidung über die Vertragsangelegenheiten ist eine weit reichende: Scheitern sie, dürfte der Verband auch seinen charismatischen Interims-Trainer Stamm verlieren. Der zweimalige Europameister wollte ohnehin nur ein trainerloses Jahr überbrücken. Mit der WM endet auch sein Vertrag. "Ob Stamm bleibt, hängt auch von den Rahmenbedingungen ab", sagt Voigt-Rademacher.
Emanzipieren sich die Wasserballer nicht, verabschiedet sich Stamm wohl vom Trainerjob. "Ich will mithelfen. Aber wenn die Bedingungen nicht stimmen, brauche ich nicht nachdenken, ob ich weitermache", sagt er.

Keine Tore, keine Siege, keine Selbstvermarktung, kein Bundestrainer Stamm - womit man wieder beim Torschützen Politze angelangt wäre. Dessen Universität in Hannover hat dem Nationalspieler nicht erlaubt, seine Klausuren auf die Zeit nach der WM zu verschieben. Er selbst hatte darum gebeten, dann der Olympiastützpunkt, schließlich der DSV - vergeblich. In der Prüfungsordnung gibt es keine Ausnahmeregel für Leistungssportler. "Ich versteh's nicht", sagt Politze. "Aber ich muss irgendwann auch an meinen Beruf denken. Mit Wasserball verdiene ich ja nichts.

Das könnte sich in Zukunft ändern. Bevor jedoch über Geld, Sponsoren und Trainer nachgedacht wird, springt die Nationalmannschaft ins WM-Becken in Japan. Platz elf von 16 Mannschaften ist das Ziel - auch dies wurde aus finanziellen Gründen so formuliert. Wasserball, momentan in Förderstufe 3 des DSB eingestuft, möchte in Förderstufe 2 aufsteigen. "Andernfalls können wir nur den Status quo erhalten. Eine Weiterentwicklung des Sports wäre schwierig", sagt Ewald Voigt-Rademacher.

So ist die Reise der Wasserballer nach Japan, alles in allem betrachtet, eine Mission ohne Aussichten auf üppigen Erfolg. Der beste Torschütze schwitzt nicht im Becken, sondern im Hörsaal, die finanzielle Situation ist eine unsichere, und selbst bei der Auslosung der Gruppen hatten die Deutschen kein Glück. Das Team trifft auf den EM-Siebten Griechenland, auf Kasachstan und den Olympiasieger Ungarn. "Wir müssen gegen Kasachstan gewinnen", sagt Hagen Stamm. "Sonst spielen wir um die goldene Zitrone." Der Gewinn derselben wäre, angesichts der unsicheren Situation, in der sich die Wasserballer befinden, entschieden zu wenig.


(Süddeutsche Zeitung 18. Juli 2001)


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